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Die Suche nach dem passenden Stundensatz

    Voraussichtliche Lesedauer: 6 Minuten

    Der Stundensatz als kleines Problem

    Als ich vor über 10 Jahren mit meinem freien Lektorat in die Selbstständigkeit gestartet bin, hatte ich ein kleines Problem: Ich wusste nicht, wie man seinen Stundensatz festlegt. Da ich vorher in einem Verlag gearbeitet hatte, waren mir nur die Preise bekannt, die dieser mit seinen Kreativ-Dienstleistern vereinbart hatte. Auffällig dabei war, dass das Honorar für diesselbe Dienstleistung bei einem Projekt hoch ausfiel, bei einem anderen, vergleichbaren Projekt aber viel geringer. „Allgemeingültige“ Preise konnte ich leider nicht feststellen. Zum Glück veröffentlichten damals einige Online-Lektorate Seitenpreise und Stundensätze für Textbearbeitungen im Internet. Oft wurde dabei auf eine Honorarempfehlung des Verbands der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) hingewiesen. Auch heute findet man im Internet noch viele Textschaffende, die sich – 14 Jahre nach der letzten Aktualisierung und sogar der expliziten Rücknahme dieser Empfehlung seitens des VFLL – auf diese berufen.

    Eine mögliche Lösung: Honorarempfehlungen!?

    Der VFLL hatte für das Jahr 2002/2003 eine „Honorarempfehlung“ herausgegeben, mit dem Hinweis, dass diese für Verbandsmitglieder nicht bindend sei und jeder eigenverantwortlich entscheiden könne, höhere oder niedrigere Stundensätze anzusetzen. In späteren Aktualisierungen wurde anhand einer „grob repräsentativen Beispielrechnung“ zu zeigen versucht, welche Kosten Selbstständige mit einem Stundensatz x refinanzieren müssen. So wurde probiert, den Mitgliedern wirtschaftliches Handeln näherzubringen und sie für mögliche Folgen von Dumpingpreisen (zum Beispiel diese Altersarmut, von der man andauernd hört) zu sensibilisieren.

    Nachdem der Verband die Honorarempfehlungen zurückgezogen hat bzw. keine Neuauflagen mehr veröffentlicht, ist folgendes auf der Website zu lesen:

    Als Verband können wir keine konkreten Preise nennen, ohne damit den freien Wettbewerb zu berühren. Eine gute Orientierung ist aber der Vergleich mit Vergütungen von Angestellten, die eine ähnliche oder die gleiche Qualifikation besitzen (Freie Lektorinnen und Lektoren haben nahezu ausnahmslos eine abgeschlossene akademische Ausbildung). Oft ist das Erstaunen bei diesem Vergleich groß: „Die verlangen ja weit mehr als das Doppelte von meinem Bruttostundenlohn!!“ Unverschämte Preistreiberei? Mitnichten! Das liegt in der Natur der Sache. Wer freiberuflich arbeitet, kann nur etwa die Hälfte der geleisteten Arbeitszeit tatsächlich fakturieren ((eigene Hervorhebung: Erklärung siehe unten)) und muss darüber hinaus alle betrieblichen Kosten selber tragen. So schlägt am Ende leicht das Dreifache des Bruttostundenlohns ((eigene Hervorhebung: Erklärung siehe unten)) von Angestellten zu Buche. Das sollten Sie bei der Preisverhandlung berücksichtigen.

    Quelle: VFLL

    Zitat 1: „Wer freiberuflich arbeitet, kann nur etwa die Hälfte der geleisteten Arbeitszeit tatsächlich fakturieren“

    Das steht in dem obigen Zitat, aber was heißt das eigentlich? 50 Prozent der geleisteten Arbeitszeit werden fakturiert, also den Kunden in Rechnung gestellt – 50 Prozent der Arbeit werden nicht bezahlt.

    Diese unbezahlten 50 Prozent werden aber trotzdem hart gearbeitet: Kundengewinnung, Angebotserstellung, Rechnungsstellung, Weiterbildungen, Marketing, Behebung von Computerproblemen, und anderen organisatorischen Aufgaben. In dieser Zeit sind Freiberufler ihre eigene IT-Abteilung, Marketingabteilung, das Controlling und Sekretariat.

    Wie hoch ist die fakturierbare Arbeitszeit bei Selbstständigen?

    Jedes Jahr gibt es ungefähr 260 Wochentage und durchschnittlich 10 Feiertage, die auf einen Wochentag fallen. Das bedeutet, es gibt maximal 250 Arbeitstage. Maximal, weil von diesen Tagen (wahrscheinlich) noch Krankheitstage – im Bundesdurchschnitt 2024: 20 Tage – und (hoffentlich) Urlaubstage – im Bundesdurchschnitt: 30 Tage – abgezogen werden müssen.

    Von den 250 Arbeitstagen bleiben also nach Abzug von Krankheits- und Urlaubstagen noch ungefähr 200 Tage übrig.

    Fertig? Noch nicht ganz.

    Aus Zitat 1 wissen wir, dass durchschnittlich nur 50 Prozent der Arbeitstage in Rechnung gestellt werden können. 50 Prozent von 200 Tagen sind also 100 Tage, die der Selbstständige an Kunden verkaufen kann.

    Auf Stunden heruntergebrochen ergeben sich also 100 Tage x 8 Stunden = 800 Stunden pro Jahr. Und das jetzt einfach mit einem Stundensatz multiplizieren, und zack, wir haben unser Jahreseinkommen! Aber welchen Stundensatz sollen wir nehmen?

    Zitat 2: „Das Dreifache des Bruttostundenlohns“

    Laut statista.de lag der durchschnittliche Bruttoverdienst von Männern in Deutschland im Jahr 2024 bei 26,34 Euro die Stunde (Stand 13.02.2025). Das Dreifache bedeutet für den durchschnittlichen männlichen Soloselbstständigen also ca. 79 Euro die Stunde.

    (Nur der Vollständigkeit wegen, ohne Wertung oder Empfehlung:
    Werte für angestellte Frauen: durchschnittlicher Bruttoverdienst 22,24 Euro; dreifacher Wert für selbstständige Frauen: ca. 67 Euro)

    Für Spezialisten mit überdurchschnittlichem Know-how oder Nischenwissen muss der Stundensatz entsprechend höher sein. Eine Spezialisierung lohnt sich also immer.

    Doch keine Lösung: Honorarempfehlungen …

    Im Jahr 2008 veröffentlichte der VFLL eine aktualisierte Version der „Honorarempfehlung für freiberufliche Lektoratsarbeit“ aus dem Jahr 2002/2003.

    Für ein Korrektorat wurden im Jahr 2008 (ab) 32 Euro/Stunde empfohlen (ca. 3,20 Euro je Normseite), für ein Lektorat (ab) 42 Euro/Stunde (ca. 5,30 Euro je Normseite). Für ein Werbelektorat und andere Spezialformen wie die Umbruchkorrektur, die Schlusskorrektur und die Schlussredaktion wurden 2008 (ab) 53 Euro/Stunde empfohlen. Da bei der Honorarempfehlung hauptsächlich von Verlagen und Unternehmen als Auftraggeber ausgegangen wurde, handelt es sich bei den Preisen um Netto-Preise.

    Und 7 Jahre später, am 24. Juli 2015, erscheint im Börsenblatt ein Text mit dem Titel „Freie Lektoren unterbezahlt“.

    Vielleicht so: Inflationsausgleich und öffentlich verfügbare Zahlen?

    (Günstige) Butter kostet mit 1,99 Euro im Schnitt heute 80 Prozent mehr als 2008 (damals: 1,10 Euro) und auch das Briefporto wurde um 73 Prozent auf aktuell 95 Cent (damals: 55 Cent) erhöht.

    Nimmt man jetzt eine Preissteigerung von 75 Prozent als die durchschnittliche Teuerungsrate in den letzten 17 Jahren an, dann würde man in einer an die Inflation angepassten, aktualisierten Version der Honorarempfehlung des VFLL für 2025 vielleicht diese Werte lesen:

    • Korrektorat ab 56 Euro/Stunde (ab 5,60 Euro/Normseite)
    • Lektorat ab 73,50 Euro/Stunde (ab 9,26 Euro/Normseite)
    • Spezialformen ab 92,75 Euro/Stunde (Spezialformen ab 18,81 Euro/Normseite)

    Diese Hochrechnung deckt sich mit den Honorarempfehlungen des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler (BfK) aus dem Jahr 2022: Hier werden für die praktischen Tätigkeiten „Lektorat“ 50–75 Euro/Stunde und für „Text- und Bildredaktion“ 75–95 Euro/Stunde angegeben.

    Die mediafon Selbstständigenberatung GmbH, eine Tochterfirma der Gewerkschaft ver.di, nennt diese Preise sogar schon im Jahr 2008 für den Berufsverband Text und Konzept (ehemals Texterverband) für „Korrekturlesen und Lektorat je Stunde 50–80 Euro (Durchschnitt 70 Euro)“. Folgendes Zitat findet man dort aus dem Jahr 2022: „Der Texterverband empfiehlt einen Stundensatz von 90 Euro – und selbst der beschert im Jahr nach allen Abzügen und realistischer Zeitplanung kein Vermögen.“

    „Kein Vermögen“ klingt aber immer noch besser als „unterbezahlt“.

    Am besten so: Den eigenen Stundensatz berechnen

    Jeder Freiberufler hat andere Bedürfnisse. Einheitliche Vorgaben durch einen Verband oder der Vergleich mit anderen Freiberuflern bringt oft nicht viel. Vollzeit – Teilzeit? Hauptverdienst – Nebenverdienst? Darum ist es wichtig (und einfach) den eigenen Stundensatz festzulegen. Das geht entweder mit Block und Bleistift oder mit einem Stundensatzrechner wie dem der Allianz deutscher Designer (AGD). Laut Datenschutzerklärung werden bei der Nutzung des Tools keine Daten gespeichert und keine Cookies gesetzt. Alles sei anonym.

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    Mathias Stolarz